„Bitte Handlauf benutzen“ – das klingt dröge, langweilig und antiquiert. Sicherheit und Fehlermanagement gelten sicher nicht als das Spannendste im Wirtschaftsleben. Rational ist jedem klar, wie wichtig die Themen sind, aber im Alltag wenden wir uns doch lieber anderen Themen zu. Warum kommt so ein wichtiges Thema im Alltag nicht an, warum fällt es so schwer, eine andere Kultur im Umgang mit Fehlern zu etablieren?

Unrealistische Zielvorgaben – Es gibt keine Null-Fehler-Kultur

Meine Vorträge beginne ich oft mit einer einfachen Frage: „Wer von Euch hat schon einmal so einen dämlichen Fehler gemacht, wie zum Beispiel den Schlüssel zu vergessen?“ Du ahnst es: regelmäßig hundert Prozent Zustimmung.

Die zweite Frage ist etwas trickreicher: „Wie viel würdet Ihr wetten, dass Euch so ein blöder Fehler nie wieder unterläuft?“ Die Antwort: „Nichts!“.

Und das ist doch spannend. Wir wissen, dass wir Fehler machen. Wir wissen auch, dass wir diese Fehler wahrscheinlich auch immer wieder machen werden – und trotzdem reden wir von „Null-Fehler-Kultur“. Das passt nicht zusammen. Menschen sind fehlerhaft. Mit der Forderung nach einer Null-Fehler-Kultur löst man deshalb höchstens Stress aus.

Deswegen aber Fehler als unausweichliches Schicksal hinzunehmen, ist natürlich auch keine Lösung, schließlich können Fehler tödlich sein. Was also tun?

Menschen versagen nicht

Man redet immer von menschlichem Versagen, aber stimmt das? Wir Menschen versagen nicht, wir funktionieren. Nur leider funktionieren wir so, wie wir programmiert sind. Und wir sind nicht wirklich für das 21. Jahrhundert optimiert. Konkret bedeutet das: Bestimmte Rahmenbedingungen haben bestimmte Konsequenzen. Denke noch einmal an das Beispiel mit dem vergessenen Schlüssel: Was muss passieren, welche Rahmenbedingungen müssen zusammen kommen, damit Du am Ende der Kette in der Lage bist solch eine Fehlleistung, wie „Schlüssel vergessen“ zu bringen?

Diesen Gedanken kannst Du genauso auf Deine Teams und Dein Unternehmen übertragen: Welche Umstände, welche Parameter müssen zusammen kommen, damit Deine Mitarbeiter Fehler machen werden? Wie gesagt: Wenn bestimmte Dinge zusammen kommen, dann werden Menschen Fehler machen. Und genau diese Dinge und Parameter gilt es zu identifizieren und dann auszuschließen – oder zumindest sicher zu stellen, dass sie nicht gleichzeitig eintreffen.

Fehler als Lernchance?

Mindestens so wichtig wie das Ausschalten von Fehlermöglichkeiten ist es aber aus meiner Sicht, aus Fehlern zu lernen. Dazu muss es möglich sein, über Fehler zu reden – und zwar über die eigenen (über die Fehler von anderen zu reden, ist keine Kunst).

Das klingt erst einmal banal und selbstverständlich, setzt aber bei den meisten Unternehmen, die ich kenne, eine Änderung in der Unternehmenskultur voraus. Überall kann man von „positiver Fehlerkultur“ oder „Fehler als Lernchance“ lesen, nur geht dieser Ansatz genauso am Wesen des Menschen vorbei, wie der Null-Fehler-Ansatz.

Kein Mensch wird gern bestraft

Der Grund: Wir wollen wissen, wer schuld ist. Wenn Du an Deinem Auto eine frische Delle findest, dann willst Du auch wissen, wer das war. Wenn in Deinem Unternehmen etwas schiefläuft, wird nach dem Verantwortlichen gesucht. Das Problem ist: kein Mensch wird gern bestraft! Wenn Du also Fehler sanktionierst, dann werden Fehler vertuscht. Wenn sie vertuscht werden, kann man nichts daraus lernen und der Fehler wird wieder und wieder auftreten. Um die Lernchance, die dem Fehler innewohnt also wirklich zu nutzen, muss eine Kultur geschaffen werden, in der sanktionsfrei über Fehler geredet werden kann.

Ein Ansatz, um solch eine Kultur zu erreichen, ist es eine Frage zu ändern: Frage Dich nicht mehr „Wer war das?“, frage: „Seit wann weißt Du das?“. Und jetzt musst Du dafür sorgen, dass die Sanktion für das Verschweigen eines Fehlers signifikant heftiger ausfällt, als die Sanktion für den Fehler an sich. Wir brauchen eine Kultur, in der das Verschweigen von Fehlern die absolute Todsünde ist.

Ein Punkt fehlt aber noch. Damit das mit dem Kulturwandel klappt, muss die Führungskraft als Beispiel voran gehen. Also hören wir auf so zu tun, als würden wir keinen Fehler machen!

BGHW im Dialog

Über positive Fehlerkultur ging es auch in meinem Vortrag bei dem Online-Event „BGHW im Dialog“ am 24.11.2020. Sieh Dir hier den Zusammenschnitt an.