Wie fühlt es sich an seine Beine nicht mehr bewegen zu können? Wirst du jemals wieder gehen können? Diese und ähnliche Fragen werden mir seit meinem Unfall vor zweieinhalb Jahren oft gestellt. Ich bin querschnittsgelähmt. Auf die erste Frage habe ich bislang keine Antwort, die zweite kann ich mittlerweile beantworten: Selbstständig werde ich mich nicht mehr auf meinen Beinen bewegen können. Doch mit Hilfe eines Exoskeletts ist das Gehen mittlerweile kein unlösbares Problem mehr.

Intensives Erlebnis

Ich werde wieder gehen können, oder vielmehr kann ich es seit Sommer 2018 wieder. Im Juli 2018 habe ich zusammen mit zwei Therapeuten der Ambulanten Neurologischen Rehabilitationsklinik in Aachen das Training mit dem Exoskelett begonnen. Nach meinem Unfall hatte ich während meines Aufenthalts in der BG Klinik in Duisburg die Möglichkeit, mit einem ähnlichen System erste Erfahrungen zu sammeln. Die Eindrücke, die diese ersten Versuche bei mir hinterlassen hatten, waren sehr intensiv und ich wollte auf jeden Fall weitermachen.

Diagnose besser verarbeiten

Mir hatten in Duisburg schon die ersten Schritte sehr viel Mut gemacht und geholfen die Diagnose Querschnitt zu verarbeiten, damit das Leben im wahrsten Sinne weitergehen kann. Diese Motivation hat mir zu Beginn des Trainings in Aachen ein Jahr später geholfen, mich intensiv mit dem Exoskelett zu beschäftigen.

Positive Effekte

Das Training mit dem Exoskelett hat für mich nur positive Auswirkungen: Ich kann zum Beispiel endlich wieder aufrecht stehen und die Umwelt aus der früher gewohnten Perspektive sehen. Allein dieser Umstand wirkt sich extrem positiv auf meine Psyche aus und ist bei mir die treibende Kraft, das Training so intensiv und gewissenhaft wie möglich zu betreiben. Daneben spielen für mich folgende Faktoren eine ebenso wichtige Rolle: Die Entlastung des Gesäßes und somit Vorbeugung von etwaigen Verletzungen durch Druckstellen, der Kreislauf wird wieder in Schwung gebracht, die Organe werden wieder in ihre vorgesehenen Positionen gebracht, die Spastik in den Beinen wird zwar nicht komplett eingedämmt, aber doch spürbar reduziert. Das Verdauungssystem kann wesentlich besser arbeiten und ich glaube, es hat auch einen positiven Effekt bei Osteoporose.

Alltagstaugliches Gerät?

Welchen Nutzen, außer dem therapeutischen, hat so ein Exoskelett nun im alltäglichen Einsatz? Kann ich es einfach anziehen und loslaufen? Die Antwort hängt von zum einen von der generellen Fitness ab und vor allem vom physischen Zustand des Benutzers. Sicherlich haben es Betroffene mit einer vergleichsweise niedrigen Verletzungshöhe einfacher, das Gerät im Alltag zu nutzen, als jemand wie ich, der ab dem vierten Brustwirbel abwärts gelähmt ist. Wichtig ist nämlich neben einer guten Arm- und Schultermuskulatur auch ein stabiler Rumpf, um sich aufrecht zu halten.

Hoffnung Zukunft

Ich werde das Skelett nie ohne eine Begleitperson nutzen können und im Alltag eher nicht oder eben nur eingeschränkt zum Einsatz bringen. Für Spaziergänge sollte es aber dennoch reichen und das ist eine sehr schöne Zukunftsperspektive. Wann ich das Gerät privat nutzen kann, hängt von meinen Fortschritten ab. Momentan lerne ich mit dem Exoskelett Treppenstufen zu gehen, und je sicherer die Abläufe werden, desto schneller wird das Training abgeschlossen sein. Wann es soweit ist, entscheiden letztendlich die zuständigen Ärzte und Therapeuten ̶ es wird sicherlich noch eine Weile dauern.

Persönliches Fazit

Der Einsatz von Exoskeletten ist in Deutschland noch nicht weit verbreitet und es wird sicher noch einige Zeit dauern bis es einen aussagekräftigen Erfahrungsschatz gibt. Ich jedenfalls freue mich sehr darüber in dieser spannenden Zeit mit einem Exoskelett trainieren und gehen zu können und meine Erfahrungen teilen zu dürfen. Es ist in meinen Augen eine zukunftsweisende, sehr gute, wenngleich trainingsintensive Therapieform. Ich bin sehr dankbar für die bisherige Unterstützung der BGHW, ohne die dieser Weg und diese positive Erfahrung für mich nicht möglich wären.

Eine Reportage über Marcus Kriegel lesen Sie in der Ausgabe der BGHW aktuell 03/2019.